Tiny Houses: Sinnvolle Alternative oder Modeerscheinung?

Großes Glück auf wenig Raum

Tiny HausFoto: hoeks/Adobe Stock In Deutschland entstehen jedes Jahr 500 Tiny Häuser.

Wohnglück auf 20 Quadratmetern: Seit ein paar Jahren ist immer häufiger von „Tiny Houses“ also „winzigen Häusern“ zu hören. In Zeitschriften oder Fernsehbeiträgen berichten glückliche Bewohner über ihre Beweggründe, in ein Mini-Haus zu ziehen, und präsentieren stolz die technischen Raffinessen, mit denen sie auf wenig Raum ihren Alltag meistern. War früher das Leben in einer Bauwagensiedlung höchstens etwas für alternative Aussteiger à la Peter Lustig, scheinen die Tiny Houses heute breitere Be­völ­ke­rungs­schich­ten anzusprechen. Ist das Leben im Mini-Haus also eine Möglichkeit für alle, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen, ohne lebenslang Kredite abzuzahlen?

Der Ursprung der Tiny Houses liegt in den USA: Nach dem Hurrikan Katrina 2005 und besonders infolge der Finanzkrise 2007 gewann das Wohnen auf kleinem Raum dort an Bedeutung. Viele Menschen waren gezwungen, sich schnell finanzgünstigen Wohnraum zu beschaffen, um nicht ohne Dach über dem Kopf dazustehen.

Ein paar Jahre später breitete sich die Grundidee vom „winzigen Haus“ in Deutschland aus. Seither entscheiden sich immer mehr Menschen für ein Mini-Haus. Laut einer Analyse des Online-Portals Comobau ist die Zahl der Kundenanfragen nach Mini-Häusern 2022 gegenüber dem Vorjahr um knapp ein Drittel gestiegen. Nach Angaben des „Tiny House Verbands“ gibt es mittlerweile über 100 Tiny-House-Hersteller, 70.000 Interessenten, 2000 Mitglieder in regionalen Tiny-House-Vereinen und jährlich über 500 gebaute Häuser in Deutschland.
 

Weniger ist mehr

Anders als in den USA stehen hierzulande aber weniger finanzielle Motive im Vordergrund, sondern eine Konzentration auf das, was man zum Leben braucht – getreu dem Motto „Weniger ist mehr!“.

Forschende der Uni Münster haben Menschen, die in einem Tiny House leben oder dieses planen, zu ihren Motiven befragt. Viele der Befragten gaben an, dass die Menschen in den industrialisierten Ländern ihrer Meinung nach zu viel besitzen. Ihren Einzug in ein Tiny House verstehen sie als Kritik an der Konsumgesellschaft, ihre freiwillige Selbstbeschränkung als ökologisch und ethisch wichtig. „Auf Platz zu verzichten, nehmen die Befragten gerne in Kauf, um Umweltschäden zu vermeiden oder zu reduzieren“, so Louisa Elbracht von der Uni Münster.

In den Anfangsjahren wohnten vor allem jungen Leute, etwa Studierende, die nicht das Geld hatten, sich Wohneigentum zu leisten, in den kleinen Häusern. Das hat sich geändert: „Jetzt sind es eher Menschen, die genau wissen, was sie wollen, die in der Regel genügend Geld haben und sich bewusst sind, welche baurechtlichen Hürden man bewältigen muss. In der Mehrheit sind das weibliche Personen über 50 Jahre, oft sind die Kinder aus dem Haus oder der Partner nicht mehr da“, erläutert Johannes Laible, Vorstandsmitglied im „Tiny House Verband“ und Herausgeber der Zeitschrift „Kleiner Wohnen“.
 

Abschied von Rädern

In der Regel sind Tiny Houses umgebaute Seecontainer, individuell gefertigte Holzhäuser oder überdimensionale „Wohnwagen“ mit einer Größe von 15 bis meist 50 m². Neben dem klassischen Eigenbau gibt es immer mehr professionell gebaute Häuser von einer steigenden Zahl von Anbietern, etwa Schreinern, die individuelle Lösungen nach persönlichen Wünschen umsetzen, Anbietern von Wohncontainern oder großen Händlern, die Bausätze verkaufen – sogar Tchibo hat mittlerweile ein Tiny House im Programm.

In den Häusern gehen Küche sowie Schlaf- und Wohnzimmer in der Regel ineinander über, meist ist nur das Bad abgetrennt. Jeder Zentimeter wird genutzt: Unter Bänken sind Staufächer, Betten werden hochgeklappt, Tische verschwinden mit einem Handgriff. Unter der Decke verlaufen Regale. Geheizt wird mit Holz, Strom oder Campinggas. Die Kosten für ein Haus liegen meist zwischen 10.000 und 60.000 Euro.

Tiny HouseFoto: Lens By Victor Jung/Adobe Stock

Oft sind die Häuser auf Fahrgestellen montiert („Tiny Houses on Wheels“), um bei Bedarf den Standort wechseln zu können. Dann müssen sich die Bewohner an den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung orientieren, etwa beim Gewicht und den Außenmaßen. Um den Wagen ohne Son­der­ge­neh­mi­gung zu transportieren, dürfen die „Häuser“ max. 12 m lang, 4 m hoch, und 2,55 m breit sein, ohne LKW-Führerschein ist zumindest mit einem neuen Autoführerschein bei 3,5 t Schluss.

„Der Trend geht eindeutig weg von den Häusern auf Rädern hin zu Modulhäusern, die mit Fundamenten fest im Boden verankert sind. Meist ist man froh, wenn man überhaupt einen Stellplatz findet. Die Idee, alle drei Jahre den Standort zu wechseln, funktioniert oft auch nicht, da man dann für den Trailer eine neue Zulassung braucht und ihn beim TÜV vorführen muss. Dann sind aber meist die Reifen platt und die Bremsen festgesetzt. Womöglich braucht man sogar eine Abbruchgenehmigung. Tiny Häuser sind einfach keine Wohnwagen“, so Johannes Laible.
 

Rechtliche Hürden

Mittlerweile gibt es so auch ganze Siedlungen von Mini-Häusern. Dort lebt man mit- und füreinander, teilt Werkzeuge und andere Dinge, hilft sich gegenseitig und tauscht sich regelmäßig aus. Viele Besitzer und Interessenten haben sich in Vereinen zusammengeschlossen, um solche gemeinsamen Siedlungsprojekte („Tiny Houses Villages“) zu realisieren. Nach Angaben des „Tiny Houses Verbands“ sind bislang aber nur fünf Siedlungen in Deutschland realisiert, zwei davon stehen in Bayern: in Unterammergau und im Fichtelgebirge.

Tiny-Houses-Siedlungen in den Städten und Gemeinden könnten Flä­chen­kon­kur­ren­ten zu den „klassischen“ Neubausiedlungen sein. Mit ihnen wäre es aber auch möglich, schnell und günstig Wohnraum zu schaffen – auf Grund­stücken, die sich nicht für ein Eigenheim eignen. Immerhin sind Tiny Houses schnell „gebaut“ und verbrauchen pro Einheit nur 100 bis 200 m² Platz.
 

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Hohe rechtliche Hürden für das Aufstellen der Tiny Häuser stehen dem jedoch entgegen: In Bebauungsplänen kommen „Winzig-Haus-Siedlungen“ nicht vor. Gibt es keinen B-Plan greift § 34 des Baugesetzbuches, nachdem ein bauliches Vorhaben nur dann zulässig ist, wenn es sich „in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“ – ein ebenso großes Ausschlusskriterium. Die erste Tiny-House-Siedlung in Deutschland wurde 2017 nicht von ungefähr auf einem Campingplatz in Mehlmeisel im Fichtelgebirge errichtet, wodurch viele Vorgaben entfielen.

Zudem gehören Tiny Houses zur Gebäudeklasse 1 und müssen alle Anforderungen an ein normales Wohnhaus erfüllen. Das macht es für die Bewohner schwierig und sehr teuer. Mit ihrer Initiative „Gebäudetyp-e“ wirbt die Bayerische Architektenkammer für ein zusätzliches Angebot innerhalb der Bayerischen Bauordnung. Der „Gebäudetyp-e“ („e“ wie einfach bzw. experimentell) soll die bisherigen in der Bayerischen Bauordnung gültigen Gebäudeklassen ergänzen und weniger Vorgaben umfassen.
 

Nicht immer ökologisch

Ein häufiger Kritikpunkt ist, dass das Wohnen in einem „Winzig-Haus“ trotz aller Verlautbarungen nicht per se ökologisch ist. „Weil ein solches Gebäude pro Person und pro Quadratmeter Nutzfläche einen hohen Materialbedarf, einen hohen Flächenbedarf und hohen Heizenergiebedarf hat“, urteilt etwa die Verbraucherzentale Bayern. Besonders bei den Häusern auf Rädern sind die Wände aus Gewichtsgründen oft nur unzureichend ge­dämmt.

Tiny HousesFoto: tilialucida/Adobe Stock

Das Heizen mit Gas oder Strom verbraucht entsprechend viel Energie. Beim Heizen mit Holz lassen sich die Kaminöfen nur schwer regeln, sodass ein Großteil der Heizenergie beim notwendigen Lüften entweicht. Damit ein Tiny House wirklich ökologisch ist, muss auf ein nachhaltiges Heizsystem und eine gute, ökologische Dämmung gesetzt werden.

„Das Problem ist, dass sich viele Tiny Houses in einer absoluten Grauzone bewegen. Die werden manchmal als Ferienhäuser ausgewiesen, und dann wohnt da jemand das ganze Jahr drin. Bei Ferienhäusern haben wir aber nicht die Anforderungen an Energieeffizienz wie bei Wohnhäusern. Das darf nicht sein, das fällt uns allen auf die Füße“, kritisiert auch Johannes Laible. Der Tiny House Verband hat deswegen eine Norm herausgegeben, in der vor allem formuliert wird, dass ein Tiny House alle gesetzlichen Richtlinien erfüllen muss.

„Trotzdem macht es allein unter klimapolitischen Gesichtspunkten manchmal mehr Sinn, in einer gut gedämmten 40-m²-Wohnung in einem Mehrfamilienhaus zu wohnen“, gibt auch Laible zu. „Andererseits beschränken sich die Bewohner auch an anderen Stellen. Sie sind generell umweltbewusster, fahren mit dem Rad oder verzichten auf Flugreisen und sind so am Ende nachhaltiger als der Durchschnitt unterwegs.“ So belegt auch eine Studie aus den USA, dass der persönliche ökologische Fußabdruck durch den Umzug in ein Tiny House um 45 % sinkt.
 

Wann braucht man eine Baugenehmigung?

Eine Baugenehmigung für ein Tiny House benötigen Sie (fast) immer. Ein kleines Gebäude wird nicht selten nach dem sogenannten vereinfachten Genehmigungsverfahren baurechtlich zugelassen. Die Unterschiede zum normalen Verfahren sind dabei aber für die Bauherrschaft nicht sonderlich groß. Einen Nachweis der Standsicherheit und einen Nachweis des Brandschutzes benötigen Sie immer. Einen Nachweis der Energieeffizienz benötigen Sie für das Gebäude nur, wenn Sie es länger als vier Monate pro Jahr bewohnen. Einen Energieausweis, der selbst kein baurechtlicher Nachweis ist, jedoch auch nach Regeln aus dem Gebäudeenergiegesetz erstellt wird, braucht ein Tiny House nur dann, wenn es eine Nutzfläche von mehr als 50 m²  hat.

Keine Baugenehmigung benötigt ein Tiny House, wenn folgende Dinge zutreffen:

  • Es wird auf einem sogenannten Wochenendplatz aufgestellt. Dies ist ein ausgewiesener Campingplatz, der offiziell fürs Ferienwohnen (nicht fürs Dauerwohnen) bestimmt ist, und es hat eine Grundfläche von höchstens 50 m² und ist höchstens 3,50 m hoch.
  • Das Tiny House wird lediglich als Wohnwagen in der Freizeit benutzt, mit oder ohne fest angebaute Räder, und es hat einen festen, ausgewiesenen Stellplatz für die nutzungsfreie Zeit.

Quelle: Verbraucherzentrale Bayern

 

Lösung für Wohnraummangel?

Bleibt die Frage, ob gut gedämmte Tiny Häuser eine Lösung für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschland sein können – würde man denn die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Bei der Befragung der Uni Münster kam heraus, dass auch der Wunsch nach Unabhängigkeit und Abenteuerlust bei der Entscheidung für ein Tiny House wichtig sind sowie das positive Image der Tiny Houses in Abgrenzung zu Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus. Das Wohnen im Tiny House ist eben auch Lebensstil, identitätsstiftend und eine persönliche Aussage. Nicht für alle Menschen ist diese extreme Form der freiwilligen Selbstbeschränkung eine Option.

Tiny Haus im AufbauFoto: olga_demina/Adobe Stock

„Trotz steigender Baupreise werden die Leute jetzt nicht anfangen, Tiny Houses zu bauen, das ist Quatsch. Wer 150 m² bauen wollte, macht jetzt keine 30“, ist sich auch Johannes Laible sicher. Denkbar ist dagegen, dass die Tiny Houses eine Nische einnehmen werden, für Menschen, die sich sonst kein Eigenheim oder eine Wohnung leisten können, etwa Studierende, Geflüchtete oder Fachkräfte auf Montage.

Wenn mit den Winzig-Häusern auch nicht der Wohnraummangel im großen Stil bekämpft werden kann, so kann die „Tiny-House-Bewegung“ aber etwas anderes bewirken. Sie kann zeigen, dass man auch mit wenigen Dingen ein hohes Maß an Lebenszufriedenheit erreichen kann. Wenige Dinge um sich zu haben, wenig Raum putzen zu müssen, wird von den Bewohnern meist als Gewinn betrachtet. Wenn Menschen aus einem Tiny House wieder ausziehen, hat dies meist praktische Gründe, etwa Familienzuwachs.

„Ich hoffe, dass von der Tiny-House-Bewegung das Signal ausgeht, dass wir alle mit weniger auskommen, als wir denken. Dass es jeder Generation immer besser gehen soll und deswegen immer größer gebaut wird, das ist eben an eine Grenze gestoßen. Und vielleicht kann man sich darüber Gedanken machen, was man wirklich braucht und ob statt 150 nicht auch 120 m² reichen“, fasst es Johannes Laible zusammen.

Sören Keller
Verlag W. Wächter

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